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Aggressive Verhaltensweisen von Hunden
Aggressives Verhalten ist weit mehr als nur Beißen bzw. Beschädigen. Dieser letzten Stufe gehen immer eine ganze Reihe von Signalen voraus. Alle diese Signale haben kommunikativen Charakter und verfolgen die Absicht, einen Kampf zu vermeiden. Denn bei diesem kann für alle Beteiligten, also auch den Angreifer, die Gefahr besteht, ernsthaft verletzt zu werden.
Aggressives Hundeverhalten:
- Knurren, Drohfixieren
- Hochziehen der Lefzen
- Fletschen der Zähne
- In die Luft schnappen
- Scheinangriffe, Imponierverhalten
Es ist nicht nötig bzw. nicht sinnvoll, dem Hund jedes Verhalten, das in die Kategorie „Aggression“ gehört, abzugewöhnen. Drohverhalten ist sinnvoll und wünschenswert, denn der Gegner hat die Möglichkeit, auf die Drohung zu reagieren und einen Angriff damit zu verhindern. Drohverhalten des Hundes darf auf keinen Fall bestraft werden, denn der Hund lernt dadurch nur, dass seine Warnungen nicht akzeptiert werden und wird in Zukunft möglicherweise sofort angreifen.
Aggressives Verhalten ist normal!
Grundsätzlich gilt, dass jeder Hund – bzw. jedes Lebewesen – ohne ein gewisses Maß an aggressivem Verhalten nicht überleben könnte. Es handelt sich hierbei also nicht grundsätzlich um eine Verhaltensstörung, sondern um ein normales, angeborenes Verhalten! Lebenswichtige Ressourcen wie Futter, Lebensräume oder Fortpflanzungspartner sind nicht unbegrenzt vorhanden. Jedes Tier steht also in erster Linie mit seinen Artgenossen, aber auch mit artfremden Tieren, die die selben ökologischen Nischen besetzen, in ständiger Konkurrenz um die benötigten Ressourcen.
Nur die stärksten und intelligentesten Tiere setzen sich im Kampf um Ressourcen durch und sind auch in der Lage, diese dauerhaft zu behalten. Die Tiere, die die Kämpfe erfolgreich für sich entscheiden konnten, geben die dafür verantwortlichen „Aggressionsgene“ an ihre Nachkommen weiter. Weniger aggressive Tiere leben häufig nicht lange genug, um sich erfolgreich fortzupflanzen und ihre „Nichtaggressionsgene“ sterben sehr bald aus. Man kann bei aggressivem Verhalten also durchaus von einem evolutionsstabilen und damit überlebenswichtigen Verhalten sprechen.
Aggressive Verhaltensweisen haben immer das langfristige Ziel, Konkurrenten, Angreifer oder sonstige als Bedrohung empfundene Individuen auf Abstand zu halten bzw. im Optimalfall zu vertreiben, so dass es in Zukunft nicht wieder zu einer Begegnung kommt. Anders als bei Meideverhalten, bei dem der Hund versucht, etwas bzw. jemandem möglichst nicht zu nahe zu kommen, wird der Abstand zu dem aggressionsauslösenden Reiz erst einmal absichtlich verringert, d. h. dieser angegriffen oder sogar getötet.
Beispiele für aggressives Hundeverhalten
- Lebt ein Hund gemeinsam mit einer Katze im selben Haus und nähert sich die Katze dem Hund häufig dann, wenn dieser seine Ruhe haben möchte, so kann der Hund die Katze durch ein warnendes Knurren dazu auffordern, ihn in Ruhe zu lassen. Wird der Hund jetzt von seinem Menschen geschimpft oder gar bestraft – und die Katze nicht daran gehindert, den Hund weiter zu belästigen – wird er bald jedes warnende Knurren einstellen. Beim nächsten Versuch der Katze sich ihm zu nähern, wird er evtl. sofort angreifen und die Katze dabei verletzen. Bei Begegnungen mit anderen Hunden oder auch in einem Haushalt mit mehreren Hunden, ist ein gewisses Maß an Aggressionen nicht unbedingt ein Problem.
- Eine Hündin hat durchaus das Recht, einen aufdringlichen Rüden durch eindeutiges Drohen, Knurren oder Schnappen auf Abstand zu halten.
- Auch ein Welpe, der sich respektlos gegenüber einem erwachsenen Artgenossen verhält, sollte von diesem in die Schranken gewiesen werden dürfen. Hier ist natürlich darauf zu achten, dass es bei Drohen bzw. Warnen bleibt und der erwachsene Hund den Welpen nicht angreift oder unangemessen heftig auf ihn reagiert.
- Viele fremde Menschen fassen Hunde ungefragt an und interessieren sich nicht dafür, ob der Hund das möchte. In diesem Fall kann man es dem Hund durchaus zugestehen, dass er durch ein warnendes Knurren zeigt, dass er nicht angefasst werden möchte.
Beurteilung von aggressivem Verhalten
Bei der Beurteilung von aggressivem Verhalten spielen subjektive Meinungen immer eine große Rolle. Hier ist es häufig auch ein Unterschied, ob der eigene Hund z. B. angeknurrt wird oder einen anderen Hund anknurrt. Viele Hundehalter finden es nicht schlimm, wenn der eigene Hund einen anderen Hund anknurrt, durch Schnappen auf Abstand hält, etc., fallen aber aus allen Wolken, wenn ein anderer Hund dieses Verhalten gegenüber ihrem Hund zeigt.
Weiterhin scheiden sich die Geister, was denn nun aggressives Verhalten ist und was nicht mehr o.k. ist. Es gibt Hundehalter, die verurteilen jedes noch so kleine Drohen und tun alles dafür, dass ihr Hund das nicht mehr macht, während andere Halter es vollkommen unproblematisch finden, wenn ihr Hund andere Hunde regelmäßig ernsthaft bedroht oder sogar verletzt.
Es stellt sich die Frage, in welchem Fall aggressives Verhalten erlaubt oder sogar erwünscht ist und in welchem Fall es auf keinen Fall auftreten soll.
Beispiel: Geht eine Frau nachts mit ihrem Hund alleine nach Hause und nähert sich ihr ein Mann, der ihr unheimlich erscheint, so wird sie dem Hund sicherlich dankbar sein, wenn er diesen durch aggressives Drohen vertreibt. Sie fühlt sich von ihrem Hund „beschützt“ und wird sicherlich nicht daran arbeiten, dass dieses Verhalten in Zukunft nicht mehr auftritt. Bekommt diese Frau aber in den nächsten Tagen Besuch von einem männlichen Freund oder einem Handwerker, so ist das selbe Verhalten des Hundes auf einmal störend und unangebracht. Für den Hund waren beide Situationen gleich und sein Verhalten beide Male korrekt. Ein fremder Mann, der sich seinem Frauchen bzw. seinem zu Hause nähert, muss vertrieben werden. Woher soll der Hund auch wissen, dass die Frau den ersten Mann nicht in ihrer Nähe haben wollte, den zweiten aber selbst eingeladen hat?
Ursachenforschung
Hier gilt mehr als bei anderen unerwünschten Verhaltensweisen: „Die Dosis macht das Gift“. Das bedeutet, dass der Hund immer noch als Hund betrachtet und behandelt werden muss, und ihm ein gewisses Maß an Selbstwirksamkeit – also auch einmal sagen zu dürfen, dass er etwas nicht möchte – zugestanden werden muss. Kein Hund kommt als aggressives „Monster“ zur Welt und kein Hund ist von Natur aus „böse“. Unerwünschtes aggressives Verhalten hat immer eindeutige Ursachen und entwickelt sich schrittweise. Es gilt also, bereits erste Warnzeichen ernst zu nehmen und entsprechend regulierend einzugreifen, bevor etwas passiert. Mögliche Auslöser können Angst und Unsicherheit, die Verteidigung wichtiger Ressourcen wie Futter, Spielzeug oder dem eigenen zu Hause aber auch Schmerzen und andere negative Erfahrungen sein. Immer spielen hier Lernerfahrungen und Ritualisierungen die wichtigste Rolle.
Therapie bei aggressiven Hunden
Nach erfolgreicher Ursachenforschung gilt es, die genauen Auslöser zu finden, denn nur wenn diese bekannt sind, kann im Alltag mit dem Hund trainiert werden. Da jeder Hund seinen eigenen Charakter und seine individuelle Vorgeschichte mitbringt, können Standardmethoden leider nicht zum Ziel führen. Vielmehr ist es wichtig, alle verfügbaren Puzzleteile zusammenzusetzen und Hund und Halter dort abzuholen, wo sie sich gerade befinden. Schnelle Lösungen mit Hilfe von Sprühhalsbändern, Wasserflaschen, Wurfketten oder ähnlichem, richten mehr Schaden an, als dass sie nützen! Der Hund muss einem Tierpsychologen oder Hundetrainer vorgestellt werden.
Gerade bei aggressivem Verhalten ist es sehr wichtig, dass sofort sicher gestellt werden kann, dass der Hund niemanden (mehr) verletzen kann. Gleichzeitig wird mit Hilfe dieser Maßnahmen auch verhindert, dass der Halter das unerwünschte Verhalten seines Hundes unbewusst aufrecht erhält oder – aus Unsicherheit, Verzweiflung und Angst vor Konsequenzen – zu „Trainingsmethoden“ wie Elektroschocks, Stachelhalsbändern, etc. greift. Ein Hund, der z.B. aggressiv auf andere Hunde reagiert, soll nicht zu den „Hauptgassizeiten“ in einem bei Hundehaltern beliebten Park spazieren geführt werden. Ein Hund, der gegenüber seinem Halter aggressiv reagiert, wenn er z. B. einen Kauknochen oder ein Spielzeug hat, soll ab sofort keinerlei Spielzeug mehr zur freien Verfügung herum liegen haben und – wenn überhaupt – nur noch so kleine Kauknochen bekommen, die er auf ein Mal aufessen kann, so dass keine Reste herum liegen, die er evtl. verteidigen könnte. Der größte Fehler, der gemacht werden kann ist, wenn dem Halter geraten wird, „er müsse dem Hund einfach nur zeigen wer hier das Sagen hat und der Chef ist“ bzw. „er müsse sich eben einfach mal richtig durchsetzen“.
Keine Bestrafung in Gegenwart des aggressionsauslösenden Reizes
Gefühle werden immer und überall mitgelernt! Der Hund verknüpft also nicht nur einen bestimmten Reiz, sondern alles, was sich in dem Moment, in dem er bestraft wird, in seiner Nähe befindet, negativ. Wird ein Hund hart bestraft, wenn er z. B. einen anderen Hund angreifen möchte bzw. angegriffen hat, dann verbindet er die Strafe nicht mit seinem – für den Halter unerwünschten Verhalten – sondern mit dem anderen Hund. Für ihn sieht es so aus, als hätte er nur deshalb Ärger bekommen, weil der andere Hund aufgetaucht ist. Er wird in Zukunft also nicht weniger, sondern eher stärker aggressiv auf diesen bzw. alle anderen Hunde reagieren, denn er macht sie für die Strafe verantwortlich.
Autor: Thomas Brodmann, vom Team der TIEREXPERTEN
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